Preis „Der besondere Patient“
Mit der Auszeichnung „Der besondere Patient“ ehrt die DGPRÄC Patienten, deren Operation die vielfältigen Möglichkeiten der Plastischen Chirurgie erkennen lässt und deren Courage auch anderen Betroffenen Mut gemacht hat. Der Preis wird seit 2017 verliehen.
Für die Preisvergabe qualifiziert sind Einzelpersonen und Selbsthilfegruppen. Diese können sich initiativ bewerben, aber auch von Mitglieder der DGPRÄC vorschlagen werden. Über die Vergabe des Preises entscheidet der Vorstand der DGPRÄC. Die Preisträger werden im Rahmen der DGPRÄC-Jahrestagung geehrt. Der Preis ist bei Anbindung an eine Selbsthilfe-Organisation mit 3000,- Euro und für Einzelpersonen mit 1500,- Euro dotiert. Einsendeschluss ist jeweils der 15. August des Jahres.
Der besondere Patient 2024 (Einzelperson)
Eine geschlossene Tür machte den Unterschied zwischen einem normalen Feierabend und einem mehrjährigen Kraftakt: Es ist der Abend des 9. November 2017, die leitende OP-Schwester Britta Meinecke-Allekotte, letzte diensthabende Person, ist dabei, den Dampfsterilisator einer Praxisklinik in NRW zu entladen. Dabei kommt es zu einem folgenschweren technischen Defekt. Die Tür des Geräts schließt sich und klemmte dabei ihre linke Hand sowie Teile des Unterarms ein. Neun Bar Druck, Temperaturen über 120 Grad Celsius, und keine Möglichkeit, die Tür ohne fremde Hilfe zu öffnen. Erst nach einem Zeitraum von rund einer Dreiviertelstunde wurde endlich ein Patient auf ihre lauten Schreie aufmerksam und informierte die Nachtschwester, welche dann die Rettungskette in Gang setzte. Die Chancen eines Erhalts der Hand in einer solchen Situation schwinden nach zehn Minuten rapide. Nach Akutversorgung durch einen Notarzt vor Ort wurde sie umgehend in das BG-Klinikum für Handchirurgie, Plastische Chirurgie und Zentrum für Scherbrandverletzte transportiert. Im BG-Klinikum Duisburg kam Meinecke-Allekotte sofort in den Operationssaal. In einem mehrstündigen Eingriff und in einigen Folgeoperationen versuchten die Ärzte, die schwere Kombination aus Quetsch- und Brandverletzung zu versorgen. So wurden u.a. aus der Beinvene Gefäßteile entnommen, um daraus neue Arterien und Venen für die Hand zu modellieren. Diese sollten die Durchblutung der Hand sicherstellen – aufgrund der starken Schädigung durch den Unfall letztlich jedoch ohne den erhofften Erfolg. Am Ende der operativen Therapie stand der Verbleib einer funktionslosen Teilhand fest. Nach Abwägen der Möglichkeiten entschied sich die Patientin für eine Amputation.
Rehabilitation – langer Weg mit viel Training.
„Nach der schweren Entscheidung erklärt Meinecke-Allekotte: „Die Frage ist nicht, warum hat mich dieses Schicksal getroffen, sondern was mache ich daraus“. Das klare Ziel vor Augen, entgegen der Skepsis aller Beteiligten, wieder in ihren Beruf als Operationsschwester zurückzukehren, nimmt sie eine berufliche Rehabilitation in Angriff, die sieben Monate dauern wird und deren Ergebnis lange unklar war. Aber ihr starker Wille und die harte Arbeit zahlen sich aus. Mit ihrer zweiten Prothese, der VINCENT EVOLUTION 3-Hand, bekommt sie die fein- und grobmotorischen Tätigkeiten wieder so gut „in den Griff“, dass sie seit 2019 wieder im OP arbeiten kann. Dies in der Klinik, in der sie auch behandelt und rehabilitiert wurde. Für den behandelnden Plastischen Chirurgen Prof. Dr. Heinz Homann auch eine Bestätigung für die Prozesse in der BG-Klinik: „Wir lassen die Patienten nicht allein, sondern setzen auf eine enge Verzahnung der Prozesse. Sprich, unsere integrierte Versorgung fängt beim Unfall an und endet mit der Hilfe bei Wiedereingliederung in Beruf und Alltag.“
Unterstützung für andere Betroffene
Britta Meinecke-Allekotte hat es nicht dabei belassen, wieder in ihren Beruf einzusteigen, sondern ist engagiert in eine Beratungstätigkeit für andere Betroffene eingestiegen. So bietet sie ein sehr umfangreiches Hilfsangebot für Menschen mit Prothesen an. Dies ist beispielsweise am BG Klinikum Duisburg eine sogenannte Peer-Unterstützung. Ein Beratungsangebot von Betroffenen für Betroffene, das Gespräche vor der OP, Anwesenheit beim Eingriff sowie Nachsorge umfasst. Nebenberuflich arbeitet sie als
Prothesengebrauchstrainerin, entwickelt eigene Trainingsprogramme und erstellt prothesenspezifische Handbücher. Sie bietet Fortbildungen zum Schwerpunkt Prothesengebrauchstraining an und hält Vorträge zu diesem und anderen Themen und vieles mehr.
Britta Meinecke-Allekotte wird daher von der DGPRÄC mit dem Preis “Der besondere Patient” ausgezeichnet. Dieser Preis ehrt Menschen, deren Operation die vielfältigen Möglichkeiten der Plastischen Chirurgie erkennen lässt und deren Courage auch anderen Betroffenen Mut gemacht hat. „Frau Meinecke-Allekotte, hat sich nicht nur durch ihre bemerkenswerte Rehabilitation und ihren unerschütterlichen Willen hervorgetan, sondern lebt einen weiteren Aspekt des Preises, der uns wichtig ist: Ein positives Vorbild für andere Patientinnen und Patienten zu sein und diesen Halt in schwierigen Situationen zu geben. Daher freuen wir uns, dies mit unserem Preis zu würdigen“, so Univ.-Prof. Dr. Marcus Lehnhardt, Präsident der DGPRÄC. Die Preisverleihung erfolgte am 03.10.2024 auf der Eröffnung der 54. DGPRÄC Jahrestagung in Düsseldorf.
Der besondere Patient 2023
Was als Routineeinsatz begann, endet mit 35 Verletzten, fünf davon schwer, und sorgte bundesweit für Entsetzen. André Lampe, Notfallsanitäter beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), rückte am 11. Mai 2023 zusammen mit seinen Kolleg:innen von Feuerwehr und Polizei zu einem Notruf aus. Stichwort „P-Tür“, was für eine hilflose Person hinter verschlossener Tür steht. Das übliche Vorgehen ist, dass die Feuerwehr die Wohnung öffnet und dann Polizei, gefolgt von Rettungssanitätern die Wohnung betritt, um wenn noch möglich Hilfe zu leisten. In diesem Fall war die Tür von innen blockiert, die Feuerwehr öffnete stattdessen ein Fenster. Als zwei junge Polizeibeamte durch dieses in die Wohnung klettern, wird von der anderen Seite aus eine Explosion ausgelöst. Lampe, so diagnostiziert es später der behandelnde Arzt PD Johannes Max Wagner, Oberarzt im Schwerbrandverletztenzentrum des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Bergmannsheil in Bochum, trägt schwere Verbrennungen im Gesicht und an den Händen davon. Auch seine Lunge wird durch das Einatmen heißer und möglicherweise giftiger Gase lebensgefährlich geschädigt.
Der Weg zur neuen Normalität
Lampe wird zur Beatmung ein Luftröhrenschnitt gelegt, er wacht erst nach drei Wochen aus dem künstlichen Koma wieder auf. Die Verbrennungen im Gesicht heilen von allein unter einer Spezialmaske ab, aber für die Verbrennungen an den Händen muss PD Wagner Hauttransplantate einsetzen, welche von Lampes rechtem Oberschenkel entnommen werden. Seitdem muss er rund um die Uhr enge Kompressionshandschuhe tragen, die verhindern sollen, dass sich auf den Transplantaten überschüssiges Narbengewebe bildet. Aber nicht nur körperlich, auch seelisch muss er heilen. So berichtet er von massiven Selbstvorwürfen, die er sich macht, sowie großen Sorgen über die ebenfalls schwerverletzten Kolleginnen und Kollegen. Fragen wie „Was habe ich übersehen? Was hätte ich besser machen können?“ bewegen ihn, so erzählt er der Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ). Dass er nie wieder der Alte sein wird, ist ihm, der vor dem Unfall sportlich sehr aktiv war, schmerzlich bewusst – aber er kämpft darum, das traumatische Erlebnis zu bewältigen. Ein Angebot der Klinik zur psychologischen Unterstützung nimmt er sofort an, auch mit der Physiotherapie beginnt Lampe schon auf der Intensivstation. Später, im Reha-Zimmer, entdeckt ein perplexer Arzt bald drauf eine Gitarre – der Punk-Fan Lampe möchte nicht nur so bald wie möglich wieder Musik machen, sondern auch seinen Körper zurück. Entsprechend treibt er sich bei Reha-Maßnahmen ans körperliche Limit, bisweilen auch darüber hinaus. Er plant, bereits im Dezember wieder als Notfallsanitäter zu arbeiten – trotz der belastenden Sorge vor dem ersten „P-Tür“-Einsatz.
Auf die Zusammenarbeit kommt es an
„Der Fall von André Lampe zeigt, welchen Beitrag die Plastischen Chirurgie leisten kann, Menschen nach schweren Unglücken wie einem solchen Brandanschlag wieder zurück ins Leben zu verhelfen. Aber er macht auch bewusst, dass es nach einer oder mehreren Operationen nicht damit getan ist – mit einer erfolgreichen Akutversorgung ist zwar die Tür geöffnet, aber der Weg hat erst begonnen“, so Prof. Dr. Henrik Menke, Präsident der DGPRÄC. Hier komme es auf eine nahtlose Zusammenarbeit zwischen Plastischer Chirurgie, Physiotherapie, Psychotherapie und dem Patienten an, nur so könne eine erfolgreiche Rehabilitation gelingen, so Menke, der abschließend konstatiert: „André Lampe hat in dieser physischen wie psychischen Ausnahmesituation viel Kraft und Ausdauer bewiesen, auch darin, der Öffentlichkeit einen intimen Einblick über einen so schwierigen Weg zu gewähren. Damit ist er als Vorbild für andere Schwerbrandverletzte ein würdiger Preisträger“, ist Menke überzeugt. „Was uns außerdem bewegt“, so Menke weiter, „ist die erschreckende Entwicklung, dass Rettungskräfte aller Art zunehmend Angriffen ausgesetzt sind. Mit der Auszeichnung von André Lampe soll hier auch ein solidarisches Zeichen für Kolleginnen und Kollegen gesetzt werden, die nicht aus einem geschützten Raum, wie dem OP heraus agieren, sondern tagtäglich „auf der Straße“ Hilfe leisten.“
Der besondere Patient 2022
„Im Dezember 2006 passierte es. Marius S., damals fast zweijährig lief in Togo versehentlich über noch glühende Kohlen, stürzte und zog sich schwere Verbrennungen zweiten und dritten Grades an Händen und Füßen zu“, berichtet Prof. Dr. Henrik Menke, Präsident der Deutschen Gesellschaft der Plastischen und Ästhetischen Chirurgen. Vor Ort sei eine angemessene Versorgung nicht möglich gewesen. „Die Ärzte rieten dringend dazu, die Behandlung in Europa durchführen zu lassen. Und so fand Marius mit seinen Eltern bereits kurz nach dem Unfall den Weg zu uns ins Zentrum für Schwerbrandverletzte Offenbach. Seither begleite ich Marius und freue mich besonders, dass unsere Fachgesellschaft ihn in diesem Jahr als ‚besonderen Patienten‘ auszeichnet.“
Vielfältige Möglichkeiten der Rekonstruktion
„In Offenbach“, so Menke, „konnten wir die Verletzungen zunächst mit Hauttransplantaten decken. Im weiteren Verlauf wurden mit mehr als 12 operativen Eingriffen bei dem kleinen und heranwachsenden Jungen wiederholte Maßnahmen zur Korrektur durchgeführt, u.a. mit individuell angepassten Z- und Verschiebeplastiken sowie wiederholten Vollhauttransplantaten, die aus der Unterbauch- und Leistenregionen beidseits sowie den Oberarminnenseiten entnommen wurden“, berichtet Menke. Die letzte Korrekturmaßnahme im Bereich der Hände sei erst vor wenigen Wochen erfolgt. „Diese Vielzahl von Eingriffen ist notwendig, um funktionelle Einschränkungen zu vermeiden und den Bedürfnissen eines wachsenden Organismus in den anspruchsvollen Regionen der Hände und Füße nachzukommen,“ führt Menke weiter aus. Zwar würden Brandverletzte zumeist ein Leben lang behandelt, da Narbengewebe sich verhärte oder wuchere und Funktionalität so eingeschränkt werde, bei brandverletzten Kindern ergäben sich aber besondere Herausforderungen. „Die Narben wachsen nicht mit und führen immer wieder zu korrekturbedürftigen Einschränkungen der Bewegung, insbesondere an Händen und Füßen. Die vorhandenen Narben müssen über Jahre immer wieder ausgeglichen bzw. erweitert werden. Regelhaft ergänzt wurden die operativen Maßnahmen durch physiotherapeutische Übungen, regelmäßiges Tragen von Kompressionskleidung zur Narbenbehandlung und eine behutsame, auch den psychischen Bedürfnissen angepasste Patientenführung. „In einem solchen Fall wächst mit den Jahren ein durchaus besonderes Arzt-Patientenverhältnis“, konstatiert Menke.
Beharrlichkeit und Ausdauer
„Der Junge lernte früh mit den immer wieder auftretenden Limitierungen umzugehen und sich damit zu arrangieren, aber auch Vertrauen in die behandelnden Ärzte und Pfleger zu entwickeln“ blickt Menke zurück. Seine stete Zuversicht habe Marius auch geholfen, dem durch seine musizierenden Geschwister angeregten Wunsch nachzugehen, Klavier zu spielen. Heute habe er eine hohe Perfektion bis zur Konzertreife entwickelt und ein Jugendstudium an der Universität Frankfurt begonnen, was auch ihn als behandelnden Plastischen und Ästhetischen Chirurgen mit Stolz erfülle.
„Insgesamt ist Marius ein Paradebespiel für die Effizienz vielfältiger plastisch-chirurgischer Möglichkeiten in einer spezialisierten Einheit. Er kann ohne Einschränkungen sportlichen Aktivitäten nachgehen. Es wurde ein weitgehender Funktionserhalt an Händen und Füßen erreicht, was bei der Schwere und Lokalisation dieser Verbrennungen ungewöhnlich ist und ohne Marius‘ eigenen außerordentlichen Einsatz nicht möglich gewesen wäre. So hat sein Klavierspiel maßgeblich dazu beigetragen, die Beweglichkeit der Hände zu sichern“, ist Menke überzeugt, der sich besonders gefreut hat zu hören, dass Marius nach seinem Abitur Medizin studieren möchte. „Es hat ihm also offenbar bei uns gefallen und wenn er einen Platz für sein ‚Praktisches Jahr‘ sucht, ist er uns auch als angehender Arzt immer willkommen“, schließt Menke.
Der besondere Patient 2019
Bärbel Thießen erlebte das, wovor viele Frauen Angst haben: Im Mai 2015 erhielt sie die Diagnose Brustkrebs. In mehreren Operationen musste der Tumor entfernt werden, überdies erhielt sie noch eine Chemotherapie und Bestrahlung. Gleich von Beginn an merkte sie, wie wichtig und hilfreich der persönliche Austausch für sie war. Auch den behandelnden Ärzten und dem Pflegepersonal wurde schnell klar, dass Bärbel Thießen die richtigen Worte für andere Patientinnen findet und ihnen damit die Angst vor der Behandlung nehmen kann. So startete sie direkt nach der ersten Operation zum Brustaufbau im Januar 2017 mit ihrem Engagement für besorgte Patientinnen.
Einsatz für Betroffene: Reden hilft
Zunächst betreute sie einzelne Frauen, aber durch ihren engagierten Einsatz erweiterte sich schnell das Angebot und so gründete sie den ersten Gesprächskreis des BRCA-Netzwerks an der Westküste Schleswig-Holsteins. Dort treffen sich regelmäßig Betroffene und Ratsuchende, auch ohne die Genmutation BRCA, zum Erfahrungsaustausch, daneben werden auch Dozenten eingeladen, die zu verschiedenen Themen informieren. Bärbel Thießen gelingt es, Frauen mit unterschiedlichen Krankheitsgeschichten deutschlandweit zu vernetzen. „Die Erkrankung war eine große Herausforderung für mich, aber meine Arbeit im BRCA-Netzwerk zeigt, dass eine Krise am Ende etwas Positives hervorbringen kann“, erklärt sie. Mittlerweile ist ihr Engagement ihr „privates Baby“. Sie sei besonders froh darüber, dass das BRCA-Netzwerk eigenständig tätig sein kann.
„Frau Thießen ist eine beeindruckende Persönlichkeit, weil sie sich durch ihre Brustkrebserkrankung nicht entmutigen ließ, sondern auch anderen Betroffenen mit ihrer Courage und Energie geholfen hat, diese Problemsituation zu bewältigen. Innerhalb kurzer Zeit hat sie ein weitreichendes Beratungsangebot geschaffen“, konstatiert Prof. Dr. Riccardo Giunta, Präsident der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC).
Kooperationsvereinbarung mit Holsteinischen Brustzentrum
Inzwischen gibt es eine Kooperationsvereinbarung mit dem aus vier Kliniken bestehendem Holsteinischen Brustzentrum und auch Patientenorganisationen in Hamburg wurden bereits unterstützt. Es gelang Bärbel Thießen, in nur etwas mehr als einem Jahr ein überregionales Angebot für Brustkrebspatientinnen zu schaffen. Bärbel Thießen verhalf die Brustrekonstruktion zu neuem Selbstbewusstsein. Ihre neu gewonnene Lebensenergie setzt sie zum Wohle anderer Patientinnen ein. „Das ist für mich eine Win-win-Situation“, sagt sie. „Bärbel Thießen war und ist ein Glücksgriff für unsere Klinik, das Holsteinische Brustzentrum und das BRCA-Netzwek“, betont Dr. Georgios Kolios, Leiter des Departments für Plastische und Ästhetische Chirurgie am Klinikum Itzehoe. Bereits nach ihrer ersten Operation im Rahmen der mehrstufigen Rekonstruktion habe sie mit besorgten Patientinnen gesprochen und das Engagement stets weiter ausgebaut. Dabei mache sie nicht nur ihr Fein- und Mitgefühl zur perfekten Ansprechpartnerin, auch ihre Brustrekonstruktion selbst verdeutliche anschaulich Möglichkeiten und auch Risiken
Vom Expander zum Eigengewebe und Eigenfett
Bärbel Thießen verhalf die Brustrekonstruktion zu neuem Selbstbewusstsein. Ihre neu gewonnene
Lebensenergie setzt sie zum Wohle anderer Patientinnen ein. „Das ist für mich eine Win-win-Situation“, sagt sie. Bärbel Thießen wurde bei der Entfernung des Tumors zunächst ein Expander als Platzhalter eingesetzt, dieser sollte den verbliebenen Hautmantel gedehnt halten und gibt Zeit, sich zunächst mit der Heilung zu beschäftigen. Nach einem Jahr verhärtete sich das Gewebe um den Expander, es kam zu einer schmerzhaften Kapselfibrose. „Ich war zu dem Zeitpunkt neu an der Klinik und froh, helfen zu können“, berichtet Dr. Kolios vom Holsteinischen Brustzentrum. Bärbel Thießen hatte sich für eine Rekonstruktion aus Eigengewebe entschieden, wollte aber den häufig genutzten Bauch als Spenderregion nicht verwenden. „Die Patientin hatte zunächst an Entnahme von Fett und Muskel aus dem Oberschenkel gedacht, ich konnte sie von einem Profunda Arterien Perforator Lappen überzeugen, dabei sitzt die Narbe am Oberschenkel weiter hinten und es wird kein Muskel entnommen“, erläutert Kolios die Vorteile. Die Patientin war zufrieden, die Narbe kaum sichtbar, die durch die Strahlentherapie geschädigte Haut der Brust wurde durch Haut vom Oberschenkel ersetzt und die gesunde Brust verkleinert und damit angeglichen. Leider kam es in Folge der Bestrahlung zur Dellenbildung oberhalb der rekonstruierten Brust, ein Defekt, der mit Eigenfett aufgefüllt werden konnte, welches durch eine Fettabsaugung am anderen Bein gewonnen wurde. Dabei wurde auch der leichte Größenunterschied der Beine nach der Brustrekonstruktion angeglichen. Nun sei nur noch die Tätowierung der in Teilen verlorenen Brustwarze offen.
Enge Kooperation Plastische Chirurgie / Gynäkologie
Eine derartige Behandlung erfordert umfassende Kooperation der ärztlichen Akteure, betont Dr. Kolios. So sei es von besonderer Bedeutung, dass bestenfalls alle Fachgruppen vor dem Ersteingriff mit der Patientin die Möglichkeiten einer späteren Rekonstruktion abwägen. „Nur so ist es möglich, dass der Gynäkologe bei der Entfernung des Tumors bereits erste Maßnahmen für eine spätere Rekonstruktion trifft“, erläutert der Plastische Chirurgie und lobt seinen Kollegen Dr. Uwe Heilenkötter, Chefarzt des gynäkologischen Krebszentrums seiner Klinik. „Transparent werden von uns im Team Vor- und Nachteile der Rekonstruktion mit Implantat im Vergleich zur Rekonstruktion mit Eigenfett dargestellt“, führt er aus. So sei Patientinnen oft nicht bewusst, dass sich eine mit Implantaten rekonstruierte Brust anders anfühle, anders bewege und nicht natürlich altere. Oft sei den Patientinnen auch das Risiko einer Kapselfibrose unklar und das die Haltbarkeit eines Implantates immer begrenzt sei – Folgeeingriffe seien also unvermeidbar. Hinzu kämen absehbare Probleme bei einer Implantatrekonstruktion nach Bestrahlung. „Bei uns, im Holsteinischen Brustzentrum sind die Patientinnen stets gut informiert und können sich bewusst für die von ihnen nach Abwägung präferierte Lösung entscheiden“, stellt Dr. Kolios zufrieden fest und dankt Bärbel Thießen, die diesen schwierigen Entscheidungsprozess mit einer sehr nahbaren Perspektive aus ihrer eigenen Erfahrung heraus unterstützt.
Der besondere Patient 2018
Ausgerechnet der Valentinstag 2016 änderte alles: Vanessa Münstermann wurde in den frühen Morgenstunden von ihrem Ex-Freund mit Schwefelsäure übergossen. Ihre linke Gesichtshälfte und Teile des Dekolletés sind seither deutlich gezeichnet. „Ich musste diese schreckliche Erfahrung in etwas Positives umwandeln, nur so war der Schmerz zu ertragen“, berichtet Vanessa Münstermann. Die Gründung von „AusGezeichnet“ helfe ihr bis heute bei der Bewältigung des Traumas. „Mit dem Verein kann ich von Geburt, durch Unfall oder ein Verbrechen entstellten Menschen einen Raum geben, Gespräche führen und so anderen zur Seite stehen, aber auch selber Kraft schöpfen – gemeinsam sind wir stark“, verdeutlicht Münstermann Sinn und Zweck des gemeinnützigen Vereins. „Das Erlebte derart zu verarbeiten, ist äußerst bewundernswert und war für den Vorstand Anlass, Frau Münstermann als die besondere Patientin 2018 auszuzeichnen“, konstatiert Prof. Dr. Riccardo Giunta, Präsident der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC).
Plastische Chirurgie = Wiederherstellung
Prof. Dr. Peter M. Vogt, Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie an der Medizinischen Hochschule
Hannover führt aus, dass bei der Behandlung zahlreiche Maßnahmen zum Tragen kamen, die die Plastische Chirurgie auszeichnen. „Die Wiederherstellung erfordert Geduld, Kreativität, zahlreiche Techniken, interdisziplinäre Zusammenarbeit und nicht zuletzt das Einfühlen in den Patienten. Die Plastische Chirurgie ist eine sprechende Chirurgie“, stellt er klar. „Um ein weiteres Eindringen der Säure zu verhindern, wurde das verätzte Gewebe unter Schonung der Gesichtsnerven sofort entfernt, so konnte die Beweglichkeit der Mimik erhalten und ein Vordringen der Säure bis auf den Kieferknochen verhindert werden. Dank unserer Möglichkeiten im Rahmen unseres Verbrennungszentrums konnten wir die Defekte mehrfach wieder decken“, berichtet der Plastische Chirurg und stellt klar, dass die Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft seien, es nun aber an der Patientin sei, zu bestimmen, was wann folge.
Kommunikation hilft!
„Für mich war es besonders wichtig, dass irgendwann der Zeitpunkt erreicht war, wo ich entscheiden durfte und wollte, wie es weiter geht. Es hat mich gestärkt beim Nach-Vorne-Schauen und mir Kraft und
Selbstbewusstsein gegeben, auch im Dialog mit den Ärzten immer als Mensch und nicht als Fall
wahrgenommen zu werden“, teilt Vanessa Münstermann ihre Sicht der Dinge. „Letztlich war es für mich
zunächst wichtiger, den Dialog zu suchen, anderen zu helfen und etwas zurückzugeben“, führt sie aus. So sei es schließlich zu der Gründung von „AusGezeichnet“ gekommen. „Ich weiß, wie es sich anfühlt, plötzlich angestarrt zu werden und beim Blick in den Spiegel zu verzweifeln. Der Dialog, der Austausch mit anderen Betroffenen, der Aufbau des Vereins, das alles hat mir geholfen, ein neues Leben aufzubauen“, berichtet die 29-Jährige. Besonders viel Freude bereite es ihr, Verbrennungs- und Säureopfern in anderen Teilen der Welt notwendige Mittel zu Versorgung ihrer Wunden zukommen zu lassen. „Ich wurde und werde optimal medizinisch versorgt, das Glück hat nicht jeder. Menschen, denen es anders ergeht, zumindest dabei zu helfen, Infekte zu vermeiden, an denen sie schließlich sterben könnten und trotz mangelhafter Versorgung ein möglichst ästhetisches Ergebnis zu erzielen, gibt meinem Leben und Schicksal einen neuen Sinn,“ schließt sie.
Der besondere Patient 2017
Erste Preisträgerin ist Susanne Helmbrecht, Leiterin des Bundesverbands Lymphselbsthilfe e.V., die auf der DGPRÄC-Jahrestagung in Graz (Österreich) den Preis entgegennahm. „Das Lymphsystem ist so etwas wie die Müllabfuhr des Körpers“, erklärt die Preisträgerin aus Herzogenaurach. „Abgestorbene Zellen oder Eiweiße werden von der Lymphflüssigkeit gesammelt und über die Lymphknoten abtransportiert.“ Bei einem Lymphödem funktioniert dieses System nicht mehr – die Lymphe sammelt sich im Körper an und lässt ihn anschwellen. „Dies kann genetische Gründe haben oder, wie in meinem Fall, die Folge der Entfernung der Lymphknoten nach Krebs. Auch eine Fettverteilungsstörung kann ein Auslöser sein.“ Susanne Helmbrecht bekam ihre Krankheit in den Griff und wollte mit ihren Erfahrungen anderen Betroffenen helfen. Zusammen mit weiteren Lymphödem-Patienten gründete sie 2012 den Bundesverband Lymphselbsthilfe e. V., der neben Workshops, Zeitschrift und Beratungstelefon auch bei der Gründung eigener Selbsthilfegruppen berät. „Wir sind außerdem in den politischen Gremien aktiv, um die Versorgung der Lymphödem-Patienten in Deutschland zu verbessern“, betont Susanne Helmbrecht. Vor allem in der Behandlung des Lipödems sieht sie noch Defizite. Die Fettverteilungsstörung tritt häufig an Hüfte, Oberschenkeln und Oberarmen auf und kann das Lymphsystem ebenfalls schädigen (Lip-Lymphödem).
Operative Möglichkeiten
Ein Lymphödem erfordert Disziplin: Viel Bewegung, regelmäßige Lymphdrainagen und das Tragen von Kompressionsstrümpfen gehören zum Alltag. „Die Plastische Chirurgie bietet Lymphödem-Patienten auch operative Möglichkeiten an“, erklärt Univ.-Prof. Dr. med. Dr. h. c. Raymund E. Horch, Präsident der DGPRÄC. „Das geschädigte Lymphsystem kann durch die Transplantation von Lymphknoten und Lymphgefäßen wieder in Gang gesetzt werden.“ Wichtiger sei es jedoch, Lymphödeme von Anfang an zu kontrollieren oder sie im besten Fall zu verhindern. „Nach einer krebsbedingten Lymphknoten-Entfernung bitten wir die frisch Operierten, genau auf die Symptome ihres Körpers zu achten, um eine mögliche Lymphgefäßstörung frühzeitig zu erkennen“, betont Prof. Horch. „Auch ein Lipödem kann durch eine Fettabsaugung behandelt werden, so dass es nicht zu einem Lip-Lymphödem kommen kann.“