München – „Mit dem PIP-Skandal wurde die Frage nach der Sicherheit von Medizinprodukten erstmals breit diskutiert“, leitet Prof. Dr. Peter M. Vogt, Präsident der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) ein. „Als Plastischer und Ästhetischer Chirurg sind für mich die Zulassung, Fachpublikationen, Kongressbeiträge, der Austausch mit Kollegen und eigene Erfahrungen mit einem Produkt maßgebliche Parameter, die meine Entscheidung zur Verwendung eines spezifischen Medizinproduktes beeinflussen“, berichtet Prof. Vogt aus der täglichen Praxis. Aus seiner Sicht ist dies nicht ausreichend.
Transparenz gefordert
„Wünschenswert sind daher neben den bereits vielfach von der DGPRÄC und anderen Akteuren gestellten Forderungen nach einem unabhängigen Zentralregister, staatlicher Zulassung, verpflichtenden klinischen Studien, Nutzenanalyse, unangekündigten Kontrollen der Hersteller sowie besondere Kennzeichnung bei Markteinführung und Langzeitstudien vor allem eine deutlich erhöhte Transparenz“, fordert Prof. Vogt. Aus seiner Sicht bestehe ein großer Informationsbedarf für Produktdetails, wobei vorrangig Angaben zur Haltbarkeit und Komplikationen essenziell seien. Der Plastische und Ästhetische Chirurg berichtet weiter, dass entsprechend der aktuellen Rechtslage Ärzte und auch Verbände zumeist erst von Problemen erfahren würden, wenn entweder der Hersteller oder das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vor Komplikationen mit einem Produkt warnt. „Es würde sehr helfen, wenn Meldungen an das BfArM, egal ob von Anwendern oder Herstellern, transparent würden. So ließe sich die Sensibilität der Anwender frühzeitig erhöhen. Ärzte könnten vor der Anwendung eines Produktes prüfen, ob es bereits Meldungen gibt und ihre Patienten auch entsprechend aufklären. Als Verband könnten wir bedenkliche Entwicklungen frühzeitig erkennen, kommunizieren und damit sicher auch das viel gescholtene Meldeverhalten der Ärzte optimieren“, erläutert Prof. Vogt.
Beispiel USA
Vorbild im Bereich der Transparenz und gesteuerten Marktzulassung sind aus Prof. Vogts Sicht die Vereinigten Staaten. Hier sind zum Beispiel Langzeitbeobachtungen, die die Hersteller zur Wiederzulassung von Silikonimplantaten in den USA durchführen mussten, online abrufbar und geben auch für Anwender in Deutschland weit reichende Informationen zu Komplikationsraten und Lebensdauer der Implantate. So veröffentlicht die „US Food and Drug Administration“ (FDA), dass 20 Prozent der Implantate innerhalb von zehn Jahren ausgetauscht werden müssen und dass jedes zweite Implantat bei der onkologischen Rekonstruktion mittelfristig versagt. „Derartige Unterlagen sind für den deutschen Markt leider nicht verfügbar, da für die Zulassung deutlich geringere Anforderungen gestellt werden.“ Exemplarisch verweist Prof. Vogt auf die unlängst für die USA erfolgte Zulassung von „Natrelle“-Implantaten. „Die hier geforderten Beobachtungen, die an eine Markteinführung geknüpft sind, erhöhen die Kenntnis der Anwender und damit auch die Patientensicherheit aus meiner Sicht erheblich“, konstatiert Prof. Vogt und zählt auf, was der Hersteller für eine FDA-Zulassung vorlegen musste:
- „5-Jahres-Nachbeobachtung von 3500 Patientinnen („Natrelle 410“-Implantate)
- 10-Jahres-Nachbeobachtung von 2000 Patientinnen („Natrelle 410“-Implantate) mit Langzeitkomplikationen (z. B. Kapselkontraktur, Re-Operation, Entfernung, Ruptur) oder Angabe seltener Ereignisse (z. B. Rheumatoide Arthritis, Mamma und Lungen-Karzinom,) und reproduktive Komplikationen
- fünf Fallkontrollstudien zur Evaluation möglicher Zusammenhänge von „Natrelle 410“ und anderer Silikonimplantate mit fünf seltenen Erkrankungen wie Bindegewebserkrankungen, neurologischen Erkrankungen, Malignomen von Hirn, Zervix/Vulva und Lymphomen
- Reflexion der Frauen auf die Patientenkennzeichnung
- Analyse von entfernten „Natrelle 410“-Implantaten, die an die Hersteller zurückgehen“
„Eine derart umfassende Versorgungsforschung im Rahmen der Zulassung zu Lasten der Hersteller ist in Europa aktuell leider undenkbar und nicht vorgesehen. Mit der Installierung eines verpflichtenden unabhängigen Zentralregisters, dessen Eintragungen einsehbar sind und etwa vom BfArM in Kooperation mit den Fachgesellschaften jährlich ausgewertet werden, könnte zumindest eine Annäherung an diesen Standard erreicht werden“, fordert der Plastische und Ästhetische Chirurg. Diese Forderung wurde in der unlängst zur Diskussion vorgelegten Medizinprodukteabgabenverordnung leider nicht berücksichtig. Sicherheit soll hier vor allem durch die Herausgabe von Implantat-Pässen und die längere Speicherung der Daten beim Arzt erreicht werden. „Dies ist aus meiner Sicht zutiefst bedauerlich. Unregelmäßigkeiten wie im Fall PIP wären über ein Zentralregister sicher schneller aufgefallen und die Patienten hätten einfacher und umfassender zurückverfolgt werden können“, formuliert Prof. Vogt.
Sanktion statt Kommunikation
Anstelle verstärkter Kommunikation wurde im Zuge der Novellierung der Medizinprodukteabgabenverordnung nunmehr eine Sanktionierung der Ärzte vorgeschlagen, wenn diese nicht melden. „Wir haben in unserer Stellungnahme auch hier deutlich gemacht, dass dies der zweite Schritt vor dem ersten ist“, berichtet Prof. Vogt, aus dessen Sicht zunächst der Informationsfluss zu optimieren wäre. „Es kann nicht sein, dass sämtliche Daten zu Medizinprodukten bei Herstellern, Benannten Stellen und BfArM lagern und für die Anwender nicht einsehbar sind. Ich fühle mich dadurch erheblich in meiner Beratungskompetenz eingeschränkt und kann mich derzeit weitgehend nur auf die Veröffentlichungen der US-Zulassungsbehörden beziehen“, stellt Prof. Vogt abschließend fest.
Pressekonferenz anlässlich des
130. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCh)
3. Mai 2013, München