„Alles hat einen Anfang und ein Ende.“ – mit diesen Worten überreichte mir Prof. Müller zum Abschluss unseres 50-jährigen DGPRÄC-Jubiläumskongresses im Herbst 2018 seine gedruckten Memoiren (*).
Unser Gründungs- und Ehrenmitglied, Herr Prof. Dr. Dr. med. Fritz Eduard Müller verstarb am 24.05.2020 94jährig im Kreise seiner Familie in Witten.
Seine Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Plastischen Chirurgie, der Verbrennungsbehandlung und der Handchirurgie ist wegweisend.
Prof. Müller wurde am 01.08.1925 in Kattowitz geboren. Aufgrund der Teilung Oberschlesiens nach dem 1. Weltkrieg siedelte die Familie jedoch früh nach Beuthen um.
Hier besuchte Fritz Eduard Müller eine private Grundschule sowie das Gymnasium. Als Berufswunsch stand im Abiturzeugnis: Arzt. Der Ausbruch des 2. Weltkrieges sorgte aber zunächst für einen anderen Werdegang: Als Fahnenjunker der militärischen Akademie der Luftwaffe war er vor allem in Italien im Sanitätsdienst, gefolgt von einer dreijährigen Kriegsgefangenschaft in Nordafrika, wo er in Ägypten ebenfalls im Sanitätsdienst tätig sein konnte. Zurück in Deutschland hatte er das große Glück, Teile seiner Familie wiederzutreffen. Von Hannover aus, wo sein Vater jetzt lebte (dieser empfahl ihm Handwerker zu werden, „die werden immer gebraucht“), bewarb er sich im britischen Militärhospital, wo er in verschiedenen Bereichen assistieren konnte. Als bevorzugter Spätheimkehrer erhielt Müller 1949 einen Medizinstudienplatz in Bonn. Aus praktischen Gründen entschied er sich zunächst für die Zahnheilkunde, konnte am Ende aber beide Studiengänge erfolgreich abschließen.
Nach Abschluss des Doppelstudiums in Bonn genoss Müller eine umfassende chirurgische Ausbildung in der allgemeinen und maxillofazialen Chirurgie: 1956 begann er an der Uniklinik Bonn eine kieferchirurgische Ausbildung. Dies in einer Zeit, in der es in Deutschland aufgrund der erforderlichen Doppelapprobation nur eine Handvoll Kieferchirurgen gab, deren Zukunft keineswegs klar war.
Im Rahmen seines Besuchs des 2. Weltkongresses für Plastische Chirurgie 1959 in London erkannte er den zu diesem Zeitpunkt in England vorherrschenden deutlichen plastisch chirurgischen Vorsprung und bewarb sich nach einem Hinweis des englischen Plastischen Chirurgen Richard Battle um ein Stipendium des DAAD und der Nato. So ausgestattet verbrachte Prof. Müller insgesamt fünf Jahre in England. Hier erhielt „Fred“, wie in seine englischen Kollegen nannten, eine umfassende Aus- und Weiterbildung in allen Teilen der Plastischen Chirurgie: der rekonstruktiven, der ästhetischen, der Handchirurgie sowie insbesondere auch der Behandlung Schwerbrandverletzter unter anderem am Queen Mary´s Hospital in London, dem Children´s Hospital Great Ormond Street und am Queen Victoria Hospital East Grinstead durch Sir Harold Gillies, Jim Evans, Richard Battle und Patrick Clarkson. So gab es z.B. in Birmingham eine Abteilung für Schwerbrandverletzte, die über 50 Betten verfügte.
Getrieben durch das gewonnene Wissen und die Kenntnis möglicher Behandlungserfolge, plante Prof. Müller bei seiner Rückkehr nach Deutschland, dafür zu werben, dass entsprechende Behandlungszentren, nach internationalem Standard, auch in Deutschland geschaffen würden. Zu dieser Zeit machten Verbrennungen ca. 19% aller Arbeitsunfälle aus. In Deutschland starben bis zu 800 Menschen jährlich an den Folgen einer Verbrennung. Brandverletzte aller Schweregrade wurden damals in den regionalen chirurgischen Abteilungen, die in der Regel von einem Abdominalchirurgen geleitet wurden, aufgenommen und behandelt.
Wach gerüttelt durch einen wiederkehrenden Massenanfall von Brandverletzten bei Sprengarbeiten, Verpuffungen und Explosionen im Bergbau in den Schächten und Stollen „unter Tage“, erkannte man als erstes bei der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und den Berufsgenossenschaften, dass strukturelle Verbesserungen für dieses Patientengut dringend erforderlich waren. So gab es sowohl im Rahmen der Klinikneuerrichtungen in Ludwigshafen als auch in Bochum Pläne zur Errichtung einer eigenständigen Brandverletztenstation. Am Bergmannsheil in Bochum bekundete Prof. Rehn von Beginn an hohes Interesse am Aufbau einer solchen Station. In zähen Verhandlungen gelang es Prof. Müller, der 1964 zunächst noch als Oberarzt der chirurgischen Klinik startete, den Aufbau dieser Brandverletztenintensivstation mit zwei weitreichenden Bedingungen zu verknüpfen: Die Verbrennung sollte eine eigenständige ärztliche Leitung haben und mit einer Abteilung für Plastische Chirurgie und moderner Handchirurgie verbunden sein.
Für ihn persönlich und seine im Jahr 1963 in England angetraute Jessica ging es von der Weltstadt London in das Ruhrgebiet.
Im Juli 1966 konnte Prof. Dr. Dr. med. Fritz E. Müller als Oberarzt mit einer Assistenzärztin eine 28-Bettenabteilung, die nach englischem Vorbild z. B. mit Klimatisierung zur Verhütung von Infektionen ausgestattet war, übernehmen. 1968 konnte die erste Intensivstation für Schwerbrandverletzte als eigenständige Einheit eröffnet werden. Fortan wurden jährlich weit über 100 Patienten behandelt. Bis zu seiner Emeritierung versorgte Prof. Müller mehr als 2.000 Brandverletzte stationär.
Gebannt konnte man Prof. Müller zuhören, wenn er berichtete: „Ich habe alleine angefangen und unter Vorlage der guten Zahlen jedes Jahr um eine weitere Stelle verhandelt“. Das wurde ihm jedoch keinesfalls leicht gemacht, denn durch die Zechenstilllegungen in den Jahren 1960 bis 1980 drohte auch immer wieder das finanzielle Aus der Kliniken des Bergmannsheil Bochum. Zum Glück für die vielen in der Folge erfolgreich hier behandelten schwerstkranken Patienten ist es dazu durch das Engagement der Stadt Bochum, des Landes NRW und insbesondere die Schaffung der Ruhr-Universität-Bochum mit ihrem Klinikverbund, dem Bochumer Modell, nicht gekommen.
Heute verfügt die Klinik in Bochum über drei Operationssäle, 50 Betten und einen Stellenschlüssel von 18,5 Mitarbeitern. 2014 wurde die neu erbaute, hochmoderne Intensivstation für Schwerbrandverletzte mit acht Einzel-Bettplätzen eröffnet. Pro Jahr werden mehr als 150 brandverletzte Erwachsene und in Kooperation mit der Kinderklinik Bochum ca. 40 brandverletzte Kinder versorgt.
Von Bochum aus begann dann der Aufbau einer selbstständigen berufspolitischen Organisation. Die ersten schriftlichen Gedanken dazu verfasste Prof. Müller zu Beginn des Jahres 1968 an Frau Prof. Schmidt-Tintemann (siehe Zeitleiste der DGPRÄC).
Im Herbst 1968 veranstaltete Prof. Müller in Bochum ein internationales Verbrennungssymposium, an dem insgesamt 150 Teilnehmer aus 19 Nationen (auch der ehemaligen DDR) diskutierten.
Auf dieser Tagung wurde am 16.Oktober 1968 um 13 Uhr im Parkhotel in Bochum die Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgen (VDPC) gegründet. Es war einer der Meilensteine, die auf Initiative von Prof. Müller letztendlich weg von der regionalen, körperorganbezogenen Plastischen Chirurgie zur Monospezialität nach internationalem Vorbild führten. Bereits ein Jahr später begann Rudolf Zellner Verhandlungen mit der Bundesärztekammer zur Schaffung eines eigenen Facharztes. Erst 1977 gelang als erster Kompromiss die Schaffung eines Teilgebiets Plastische Chirurgie. 1992 dann folgte endlich der Facharzt für Plastische Chirurgie.
Jeder kennt das Bild Müllers vor Vollversammlung der des Weltkongresses 1979 in Rio de Janeiro. Hier gelang die internationale Anerkennung der damaligen VDPC als alleinige Vertretung der deutschen Plastischen Chirurgie.
Prof. Müller war ebenfalls Gründungsmitglied der 1983 in Bad Dürkheim entstandenen Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Verbrennungen (DAV).
Nach zunehmender Etablierung der Bochumer Klinik wurde Prof. Müller 1976 an der Ruhr Universität Bochum mit der Habilitationsschrift: „Die Infektion der Brandwunde“ habilitiert. Er war damit der erste Kliniker, der in Bochum habilitiert wurde. 1981 folgte die Professur.
Zusammen mit seinem Freund Rudolf Zellner war Müller von 1977 bis 1983 Herausgeber der Zeitschrift „Plastische Chirurgie“.
1990 endete dann die klinische Tätigkeit des „Mannes der ersten Stunde“ im Bergmannsheil Bochum. „Läppchen-Müller“, wie er hier genannt wurde, um ihn von einem gleichnamigen unfallchirurgischen Oberarzt zu unterscheiden, wurde nach 26 Jahren in den Ruhestand verbschiedet und sein Nachfolger Hans Ulrich Steinau startete seine Tätigkeit.
Erwartungsgemäß beendete Prof. Müller hier jedoch nicht seine berufliche Tätigkeit. Bis zum Jahr 2005 war er in Bochum in Privatpraxis tätig.
Hochverdient erfolgten nach 1990 zahlreiche Ehrungen: der „G. Whitaker International Burn Prize“ als Anerkennung seiner Lebensleistung, 2001 das Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland, 2009 folgte die Dieffenbach-Medaille der DGPRÄC.
Vom 13. – 15. September 2018 konnten wir hier in Bochum den 50. Jahreskongress der von ihm gegründeten Gesellschaft der Plastischen Chirurgen (DGPRÄC) feiern. Prof. Müller, mittlerweile natürlich Ehrenmitglied der Gesellschaft, hielt den Festvortrag und reflektierte 50 Jahre Plastische Chirurgie und die Behandlung von Brandverletzungen in Deutschland.
Prof. Dr. Dr. F. E. Müller verstarb am 24.05.2020 in Witten im Kreis seiner Familie. Er hat sein gesamtes Berufsleben unermüdlich nicht nur für die Schaffung optimaler Behandlungsmöglichkeiten für die ihm anvertrauten Patienten gekämpft. Er hat darüber hinaus, und auch noch in den zurückliegenden 25 Jahren nach seiner Emeritierung, mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft und größtem Engagement für seine und unsere Profession, dem medizinischen Fachgebiet der Plastischen Chirurgie eingestanden. Er hat uns unermüdlich ermahnt, das Erreichte zu bewahren, das Fachgebiet gegen regionale Bestrebungen zu verteidigen und alle vier Säulen verantwortungsvoll und innovativ zu stärken. Als Mitbegründer, Mitglied und Vorstand unserer Berufsorganisationen war er uns immer Vorbild. Die nachfolgenden Generationen erlebten ihn mit tiefem Respekt vor der Lebensleistung.
Marcus Lehnhardt
Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie
Schwerbrandverletztenzentrum
BG-Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum
*: In der Bibliothek unserer Geschäftsstelle in Berlin einsehbar.